Erfahrungsbericht Annina

Umgang mit Armut

 

Durch die theoretische Auseinandersetzung mit den sozialpolitischen Realitäten in welchen die Kinder der Fundacion „Minadores de Suenos“ und eigenen Beobachtungen durch Familienbesuchen und der täglichen Arbeit mit den Kindern, konnte ich mir einen tiefen Einblick in die Realitäten der Kinder und Jugendlichen, welche die Fundacion täglich besuchen, verschaffen.

 

Zu Beginn des Praktikums konnte ich mir gar nicht vorstellen in was für Verhältnissen die Kinder tatsächlich leben, da sie auf mich sehr Glücklich und zufrieden wirkten (immer noch). Ich stellte mir Fragen wie: Wie kann es sein, dass Kinder welche in so armen Verhältnissen aufwachsen so zufrieden sind? Es wirkte auf mich als ob die Kinder zufriedener sind als in der Schweiz. Viel seltener kommt es vor, dass ein Kind weint und auch habe ich das Gefühl, dass zwischen den Kindern ein friedlicherer Umgang herrscht. Mich beschäftigte das Thema, welches mich auch in der Schweiz immer wieder beschäftigt und uns so eingepflanzt wird: Bedeutet wenig Geld = Unglücklich? Wie ist es möglich, dass die Menschen in einem Land in welchem mehr als die Hälfte der Einwohner unter der Armutsgrenze lebt, zu den glücklichsten Menschen auf Erden zählen? Und in der Schweiz, wo es so wenig Arbeitslosigkeit gibt eine der höchsten Suizidrate hat und immer mehr Menschen unter psychischen Problemen leiden?

Ich denke, der Grund warum ich mir nicht vorstellen konnte in was für Verhältnissen die Kinder von der Fundacion leben ist, dass uns in der Schweiz das fixe Bild vermittelt wird, je mehr Kariere, mehr Geld, umso glücklicher und im Gegenteil umso Unglücklicher. Als ich dann mit auf die Familienbesuche ging, wurde mir erst richtig bewusst wie die Kinder wirklich leben: Wellblechdach, Lehmboden, undichte Wände, drei Betten für 7 Personen, 400 Dollar pro Monat für 7 Personen, alleinerziehende Mütter, welche alleine für die Familie aufkommen, Gewalt, Alkoholismus usw. Umstände in welchen zu leben für mich unvorstellbar sind. Wie soll jedoch ein Kind wissen, dass diese Umstände nicht „normal“ sind, wenn es nichts anderes kennt? Ich denke, dies ist der Grund dafür, dass sie trotzdem nicht unglücklich sind. Nach den Familienbesuchen war für mich auch klar, warum die Kinder so gerne in die Fundacion kommen und da so glücklich wirken. Sie bekommen da viel, was für sie Zuhause wahrscheinlich nicht selbstverständlich ist. Hilfe bei den Aufgaben, was für die Kinder zugleich auch bedeutet, dass  jemand darum bemüht ist, dass sie ihre Aufgaben verrichten und ihnen Aufmerksamkeit schenkt. Die Kinder sind in einer „sicheren Umgebung“ wo zwar auch klare Regeln gelten jedoch keine Gewalt angewandt wird. Erwachsene spielen mit den Kindern. Die Kinder kriegen warmes Essen. Wenn die Kinder krank sind, kümmert sich jemand darum, dass sie Medikamente bekommen oder zum Doktor können. Wenn die Kinder in der Schule Probleme, haben kümmert sich jemand darum. Ich denke, die Fundacion gibt den Kindern eine gewisse Sicherheit, wo sie als Individuum gewertschätzt und akzeptiert werden und sie sind somit nicht mehr ihrem Schicksal überlassen.

Manchmal komme ich mir dekadent vor. Ich kann es mir leisten nach Ecuador zu fliegen und vier Monate ohne Lohn zu arbeiten. Ich denke jedoch, indem ich den Kindern in der Fundacion meine Zeit schenken kann und somit einen kleinen Beitrag leisten kann um ihr Leben ein bisschen zu verschönern, kann ich auch die Armut in welchen die Kindern aufwachsen mit einer Distanz betrachten ohne mich persönlich betroffen zu fühlen. Wo wir Menschen auf die Welt kommen, liegt nun einmal nicht in unseren Händen. Aber ich denke, ich kann viel mitnehmen für mein zukünftiges Leben und vor allem das Leben in der Schweiz mehr schätzen.